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Göttliche Versuchungen

Eine Reise in die letzte Welt, Dezember 1999

Vom Zwigesichtigen Zweifel

Das graue halbe Jahr schien schon angebrochen,

Kälte griff nach allem Grün,

Wolken trübten alles Licht,

als ein linder Wind nochmals

den Winter kurz vertrieb.

Blaue warme Tage folgen nun auf kalte Morgen,

graue Nebel, von der Sonne durchtränkt, entschwinden,

fliegen auf, wie zarte goldene Schleier.

Das rote Laub des wilden Weins beginnt zu glühen.

In der Dunkelheit schon halb verdorrt,

erhellt sich das Gemüt.

Ich bin schon lang nicht mehr allein. Den Sommer lang

wanderte stets ein Schatten neben mir,

am Zweifel strauchelt was sonst fröhlich war,

Zuversicht stemmt sich gegen das Verzagen,

Zauder sitzt ständig flüsternd

im anderen Ohr.

 

Sonntag, 17.10.99

 

Früh um drei stehlen sie sich fort. Zauder will sich noch an die Kissen krallen, doch Zuversicht zerrt ihn hinaus. Kalt und zugig ist es auf dem Bahnsteig und der Zug läßt zwanzig Minuten auf sich warten.

"All die Zeit könnten wir uns noch unter die warme Decke kuscheln, aber der Herr muß sein Reisefieber auf dem Bahnhof kühlen!"

"Ich Hab die südliche Sonne im Sinn," gibt Zuversicht schlotternd zurück, "das ist mir der Wärme genug, für den Augenblick."

So geht’s dann auch zankend voran im zuckelnden Zug, der ständig, einer Baustelle wegen, ins Stocken kommt. An Schlaf ist nicht zu denken. Unsere Zwei-in-Einem wälzen zweifelnd Fragen. Warum es dieses Jahr nicht nach Italien gehe, wo doch dort die allemal bessere Kost bereitstünde. Ist der Wunsch, Freunde besuchen zu wollen, vorgeschoben?

"Nicht ganz allein willst du sein all die vierzehn Tage!" ruft Zauder scharf und Zuversicht schweigt, lächelt Zustimmung, er hat sich ja durchgesetzt. Soll der alte Zausel doch maulen, er ist bislang noch immer gut gefahren. Verkrochen haben sie sich noch nie.

"Ein rechter Streit erhält unsere Freundschaft" meint versöhnlich Zuversicht, was Zauder naserümpfend nicht ablehnen kann. Das Sich-Einigen-Müssen ist ihr Schicksal, Zufriedenheit in Gänze selten, der Sieger setzt sich durch, im Handeln wie im Reden. So wird einer immer zur Maske des anderen, zum vorgeschobenen Gesicht, hinter dem die Zänke toben. Hinter einer niedergeschlagenen Miene kann noch Freude wohnen, und ein frohes Gesicht Entsetzen bergen. Nur selten hat die Maske Risse, dann dringen Falten durch die fadenscheinige Haut und Fragen wie: "Geht es dir gut?" werden weggewischt wie die Furchen auf der Stirn.

Sie wünschen sich so manches mal einen schlichteren Geist, unverzagtes Vergnügen, und wissen dennoch, daß sie Freude haben am Widerspruch in sich, daß dieser ihre Person ausmacht. Des Zwigesichts feste Angel ist weder Bild noch Spiegelbild, sondern der Spiegel selbst.

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